Mittwoch, 28. November 2018

Politik und Islam

Was ist eigentlich "der politische Islam" - und kann bzw. soll Religion tatsächlich unpolitisch sein?


Ich werde seit Monaten aufgefordert, mich zum Kontext "politischer Islam" zu positionieren. Huckepack dazu bekam und bekomme ich von verschiedener Seite verschiedene Erwartungen vermittelt, welche Position ich dahingehend dann auch bitte zu vertreten habe. Man* wünscht sich von mir, ganz arg politisch zu sein, oder ganz arg unpolitisch (vielleicht gar "säkular") zu sein, oder eine spezifische politische Meinungen oder bestimmte Parteipositionen zu vertreten. All diese Appelle an mich kann ich gut verstehen, werden sie doch ansichts einer in boulevardistisch skandalisierter Form geführten Medien- und Parteipolitik"diskussion" rund um das Thema Islam und dem dadurch entstandenen gesellschafts- und parteipolitischen Druck an mich herangetragen.

Gerne möchte ich gleich zu Anfang betonen, dass ich im Kern versuche (gelingt mir nicht immer) mich dieser ganzen "Schlacht ums Kalte Buffet" namens Islam zu verweigern. Ich empfinde mich nicht verpflichtet und abhängig davon, mich Medien oder Politiker*innen oder Aktivist*innen gegenüber zu rechtfertigen. Ich nicht über jedes Stöckchen springen, das mir von Presse- oder Parteileuten angeboten wird, nur damit diese davon profitieren können. Mein Blickwinkel als Imam ist und muss sein, inwieweit meine Aussagen, Positionen und mein Handeln vorbildlich und hilfreich sowohl für Muslim*innen wie auch für Nicht-Muslim*innen ist. Diese potenzielle Verweigerung mag einige Leute frustrieren oder gar verärgern, aber sie ist daraus geboren, dass ich mich eben nicht einfach so auf Zuruf instrumentalisieren lassen möchte, damit Andere Geld verdienen oder vermeindlichen Ruhm ernten können.

Was ist eigentlich Politik?


Wenn ich "den politischen Islam " betrachten möchte, muss ich zuvor Definitionsklärung betreiben - zumindest mir ist diese Vorgehensweise ein starkes Bedürfnis. Den Wikipedia-Artikel "Politik" oder andere grundlegende Quellen an dieser Stelle zu zitieren würde den Rahmen sprengen. Grundsätzlich geht es um Begriffe wie "Öffentlichkeit" (Dinge, die alle oder viele betreffen), "Gemeinwesen" (Dinge, die den Staat oder das Land oder die Stadt betreffen), "Entscheidungen" (Dinge, auf die man* sich einigt) und auch "Vertretung" (wer trifft für wen Entscheidungen und auf welcher Grundlage).

Ich finde die im Wikipedia-Artikel aufgeführten Politikbegriffe sehr spannend und wichtig: Macht, Staat, Führung, Hierarchie/Herrschaft, Ordnung, Frieden, Freiheit, Demokratie, Konsens, Konflikt, Kampf und Klassenkampf. Sie sind im Diskurs "des politischen Islams" deshalb so interessante Begriffe, weil die islamische Religion sich mit all diesen Themen tatsächlich beschäftigt. Und schon berühren wir das Thema "westliche Werte" und "islamische Werte" - aus meiner Sicht ist die Schnittmenge der beiden Werteaspekte extrem viel höher, als viele Medien- oder Politik-Vertreter*innen uns einreden wollen.

Definition des "politischen Islams"


Gibt man* in bekannten und beliebten Online-Suchmaschinen den Begriff "politischer Islam" ein, wird man* fast ausnahmslos zu Links über Islamismus verwiesen. Mir drängt sich der Eindruck auf, "politischer Islam" wird mit "Islamismus" gleichgesetzt - nur am Rande findet man* Hinweise darauf, dass der „islamische Fundamentalismus“ eine Ausdrucksform eines "politisierten Islams" sei. Wenn ich mir die spirituellen Inhalte meiner Religion und die Definitionsbestimmung von "Politik" im Vergleich zu diesen Zuweisungen ansehe, dann wirkt das zumindest unharmonisch, an einzelnen Stellen sogar widersprüchlich auf mich. Daher will ich mich daran versuchen, zu formulieren, was aus meiner Sicht "der politische Islam" ist. (Dazu sei angemerkt: Ich bin weder Politologe noch anderweitiger Experte in diesem Gebiete - meine Meinung (!) mag aus Sicht anderer Leute falsch oder unvollständig sein.)

Ein "politischer Islam" beginnt sicherlich dort, wo islamische Vertreter (üblicherweise leider Männer) - also Imame, Gelehrte und Funktionäre - Einfluss auf das öffentliche Gemeinweisen nehmen können und wollen. Da es in verschiedenen Regionen der Welt aufgrund historischer Entwicklungen eine juristikative Ableitung islamreligiöser Inhalte gab (Rechtsnormenlehre / Fiqh / Scharia), haben wir mit einer vielfältigen Art der Einflussnahme und Einflussnahmefähigkeit islamischer Vertreter in politischen Systemen zu tun. Es gibt "islamische Länder/Staaten", in denen eine Scharia-Auslegung Bestandteil oder Grundlage des staatlichen oder lokalen Rechtssystems ist. Es gibt "säkularisierte" islamische Länder, in denen eine rechtliche Mischform-Situation oder eine umfangreiche Einschränkung der Einflussmöglichkeiten islamischer Vertreter (Trennung Religion/Staat) besteht. Und es gibt Länder, in denen islamische Vertreter aufgrund einer minderheitsreligiösen oder historisch-rechtlichen Situation kaum bis keine dominante Einflussnahmemöglichkeiten auf das öffentliche Gemeinwohl haben. (Und natürlich gibt es noch zig andere Staatsformen)

Nun leben wir nicht mehr im 18. oder 19. Jahrhundert. Die Industrialisierung, Technisierung und Digitalisierung haben zu einer Globalisierung der Welt geführt - nicht zuletzt durch die Grundung der UN, militärische Aufrüstung von Massenvernichtungswaffen und eine engere Internationalisierung der Bankensysteme ist die Möglichkeit zur politischen Einflussnahme auf Distanz einfacher und auch schneller geworden. Die internationale und jeweils regionale Politik hat sich m.E. noch gar nicht wirklich (auch und gerade juristisch) auf die neue Situation eingestellt. In einer Welt, in der Ressourcen (wie Bodenschätze, (Kredit-)Geld und sogar Wasser) immer stärker global betrachtet, verfolgt und abgewickelt werden, versucht jeder Staat(enverbund), seinen Einfluss nicht nur zu erhalten, sondern auszuweiten - und dies zunächst einmal unabhängig von der Verbreitung einer Religion. So gesehen ist internationale Politik islamischer Länder nicht automatisch islamistische (d.h. religionsmissionarische) Politik; sie kann (!) religionsmissionarische Elemente oder Grundlagen haben, aber dies pauschalisiert anzunehmen ist aus meiner Sicht vorverurteilend.

Ich habe in den letzten Tagen auf Facebook Ausschau gehalten nach Definitionen von "politischer Islam" und Meinungen zum Thema "Politik im Islam".

Der muslimische Theologe und Religionsphilosoph Alexander Schmidt sagt dazu:

»Religionen - insbesondere besonders prophetische Religionen - können gar nicht anders als sich ins Weltliche zu mischen, denn sie sind sozial und ethisch. Die Frage ist nur: wie damit umgehen? Deswegen ist eine Theologie wichtig, die sich mit unserer hiesigen liberalen rechtstaatlichen Ordnung auseinander setzt.«

Weitere Stimmen:

• »Politisch ist eine Religion, wenn sie weltliche Dinge regelt. Unpolitisch ist eine Religion dann, wenn sie sich ausschließlich mit dem Seelenheil befasst.«

• »Ich hab den Eindruck, Islam ist nur noch Politik.«

• »Mich interessiert die Instrumentalisierung des Islam - also durch die Vertreter der Politik, der gesellschaftlichen Gruppierungen und durch Einzelne.«

• »Jede Gemeinde hat immer einen weltlichen Bezug. Religion ist immer auch politisch. Die evangelische Kirche tritt z.B. gegen den Klimawandel ein - interessiert aber fast keinen. Die Frage ist einfach eher wie man mit politischen/ religiösen Gegnern umgeht.«

• »Es gibt in entsprechend strukturierten Gesellschaften einen Unterschied, ob man sich als Partei und politische Kraft engagiert, oder als NGO [Anm: Nichtregierungsorganisation]. Hier ist es wichtig nicht das diffuse "Sein" einer Religion/Weltanschauung in den Blick zu nehmen, sondern ihr Handeln.«

• »Der Islam ist aber entweder politisch oder er existiert nicht wirklich. Eine Religion ist für die Menschen eine Richtschnur, die den Mensch zur Glückseeligkeit führen soll. Dies funktioniert nicht ohne die politischen Perspektiven einer Gesellschaft zu berücksichtigen. Ohne Politik hat der Koran keinen Anspruch mehr auf die Glückseeligkeit der Menschen und verliert den Sinn für seine Existenz.«

Gedanken zum politisch( agierend)en Islam in Deutschland


Bei aller Faszination universeller, globaler und überregionaler Betrachtungen politischer Aktivitäten von islamischen Vertretern und / oder Ländern sehe ich die Notwendigkeit, den Themenkomplex reduziert auf Deutschland zu betrachten. Ich will mich damit einer Erörterung einer europäischen oder weltweiten Betrachtung nicht verschließen, aber obig vorbetragene Positionierungswünsche beziehen sich üblicherweise auf die deutsche Situation, also ergibt es Sinn, dass ich meine Gedanken zum politisch( agierend)en Islam in Deutschland formuliere, unter Berücksichtigung aller obiger Aspekte.

Deutschland hat als parlamentarische Demokratie ein föderales System von gewählten Vertreter*innen, die den Willen der Bürger*innen Deutschlands umsetzen und vertreten sollen. Hierzu sind die gewählten Vertreter*innen in politische Gruppierungen (Parteien) gegliedert, die intern Positionseingung betreiben, um den Bürger*innen die Wahlentscheidungen zu ermöglichen. Grundsätzlich gilt: Jede*r Bürger*in Deutschlands kann sich parteipolitisch wie auch unabhängig von Parteimitgliedschaften politisch engagieren. Zielsetzung jeder politischen Aktivität sollte aus meiner Sicht der Nutzen der gesamten Gemeinschaft in Deutschlands bzw. eines Teils davon (Land, Region, Stadt, Bezirk usw.) sein. Stichworte: Gemeinwesen und Gemeinnützigkeit im öffentlich-allgemeinen Sinne.

Muslimischen, deutschen Bürger*innen ist also eine Teilhabe am politischen Vertretungs- und Entscheidungsprozess jederzeit möglich. Eine von ihnen vertretene Förderung religiöser Gemeinnützigkeit (beispielsweise in Form der Ermöglichung freier Religionsausübung auf Grundlage allgemeingesellschaftlich anerkannter Lebensweisen und grundsätzlich geltendem deutschen Recht) ist aufgrund der allgemeinen Religionsfreiheit daher völlig legitim und respektabel. Ein Aufrechterhalten der islamischen Glaubenspraxis ist ebenso statthaft wie der jüdischen oder christlichen; darin liegt keinerlei missionarischer Anspruch, sondern einfach nur eine rechtliche und politische Gleichbehandlung von Bevölkerungsgruppen. Aus meiner Sicht fallen die meisten politischen Anliegen und Aktivitäten von Muslim*innen in Deutschland unter diesen Bereich.

Ich persönlich empfinde mich durchaus als politisch aktive Person. Meine Arbeit als Imam und meine Arbeit als LGBTIQ*-Aktivist sind für andere Menschen politisch meinungsbildend. Natürlich bin ich mir sehr bewusst: In meiner Position als Imam diene ich als Vorbild und "Leuchtturm" für Menschen, auch politisch. Daher positioniere ich mich weniger parteipolitisch (also nicht "verkürzt" indem ich die Positionen einer oder zweier Parteien pauschalisiert übernehme), sondern allgemeinpolitisch. Als muslimischer Vertreter bin ich persönlich gar nicht daran interessiert, dass Glaubensgeschwister meine politischen Ansichten kritik- und bedenkenlos übernehmen (dazu ruft uns nämlich der Qur'an auch explizit auf) und daher werde ich eine pauschalisierte politische Position nicht nach außen vertreten.

Wohl aber habe ich politische Meinungen und Positionen, weil diese als solche das Gemeinwesen betreffen: Das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland. Ich muss ein Interesse an einem gedeihlichen Miteinander aller deutschen Bürger*innen miteinander haben, denn Deutschland ist meine Heimat und meine privaten wie islamischen Überzeugungen decken sich (siehe oben) mit grundlegenden Politikbegriffen.

Als Muslim in Deutschland werde ich immer wieder an die Situation in Medina im 7. Jahrhundert nach der Ankunft des Propheten Mohammed (Fsai) erinnert. Die Stadt war eine sehr diverse, vielfältige Ortschaft mit verschiedenen (durchaus untereinander zerstrittenen) Stämmen. Mohammed* wurde schnell zu einem Schlichter und quasi zum Bürgermeister des Stadt, er iniitierte dann auch eine Verfassung, in der auch die Rechte von Minderheiten (beispielsweise der jüdischen Nomadenstämme) anerkannt wurden. Heute in Deutschland leben wir in einem vielfältig geprägten Staat mit Menschen aus vielen verschiedenen Ursprungsheimat-, Kultur-, Geschlechts-, Politik- und Liebes-Identitäten. Wir haben ein religionsunabhängiges "System" (Grundgesetz, Gesetzgebung, Gewaltenteilung usw.), das politisch (unter Beteiligung der Bürger*innen-Vertretungen) verwaltet wird. Es ermöglichst allen Bevölkerungsgruppen, ob nun Majoritäten oder Minoritäten, ein gleichberechtiges Miteinander in diesem Land. Aus meiner Sicht ist dies etwas enorm Wertvolles, das es unbedingt zu erhalten gilt.

Und gerade deshalb positioniere ich mich selbstverständlich politisch für die Erhaltung und Pflege der bestehenden Ordnung. Auch aus islamischer Sicht gibt es keinerlei Gründe für mich, unser "deutsches System" grundlegend verändern oder gar abschaffen zu wollen. Dazu gibt es aus meiner religiösen Sicht auch keinen Gottesauftrag und keine Veranlassung. Menschen, die unsere bestehende demokratische Grundordnung bedrohen oder bekämpfen, sind unserem Rechtssystem nach entsprechend zu handhaben. Solche Menschen sind durchaus auch und gerade Rechtsextreme, Neo-Faschisten und - ja, durchaus - unsere Religion falsch auslegende und missbrauchende Islamisten.

Und jetzt sind wir beim Islamismus, bei der kompromisslosen Verbreitungsidee aus übertriebener und falsch verstandener Religiösität. Aus meiner islamrechtlichen Sicht sind Islamisten eindeutig Verbrecher; sie tun Dinge, die das Gemeinwesen (das ist in Deutschland die plurale, freiheitliche Gesellschaft, die unsere freie Religionsausübung gewährleistet) bedroht und torpediert. Und sieh mal an, meine islamrechtliche Sicht deckt sich mit der unserer demokratischen Grundordnung. Und ich gehe noch weiter und sage: Meine Meinung wird geteilt von einer überwältigenden Mehrheit der in Deutschland (auch und gerade als Bürger*innen) lebenden Muslim*innen!

Positionierungen zum politisch( agierend)en Islam in Deutschland


In Anbetracht all dessen positioniere ich mich in Bezug auf den politisch( agierend)en Islam in (Bezug) Deutschland wie folgt:

• Ich werde keine parteipolitische, pauschalisierte Positionsvertretung einnehmen. Daher schließe ich eine Mitgliedschaft in und eine exklusive Zusammenarbeit mit einer deutschen politischen Partei für mich aus.

• Mit großer Sorge beobachte ich die Entwicklung im Bereich rechtnationaler und rechtsextremer Parteien in Deutschland. Entsprechende Parteien und deren Vertreter*innen stellen aus meiner Sicht eine Gefahr für die deutsche Rechtsordnung dar und bedrohen damit sowohl das Gemeinwesen im Allgemeinen wie auch die rechtliche und soziale Position der muslimischen Minderheitsbevölkerung Deutschlands im Speziellen, was durch islam- und muslimfeindliche Positionierungen und Handlungen durch jene noch verstärkt wird. Eine Kooperation mit jenen Parteien und deren Vertreter*innen lehne ich daher ab.

• Für mich wie für alle muslischen Bürger*innen in Deutschland gelten die hierzulande feststehenden Rechtsnormen: das deutsche Grundgesetz, die deutsche Rechtsprechung und die von Deutschland mitgestalteten europäischen Vereinbarungen, die unser Land betreffen. Aus meiner islamischen Sicht steht eine Scharia-Auslegung nicht über den deutschen Rechtsnormen; zudem gäbe es auch keine verbindliche (z.B. von einem Gelehrtenrat o.ä.) für Deutschland erarbeitete Scharia-Fassung, die die Vielfalt aller islamischen Rechtsansichten der in Deutschland vertretenen islamischen Strömungen berücksichtigen würde.

• Eine politische Einflussnahme aus dem Ausland unter islamistischer Zielsetzung lehne ich ab; meine politische Arbeit in Deutschland ist u.a. darauf ausgerichtet, dass unsere Heimat eine solche Einflussnahme abwehrt und nicht zulässt. Ich werde die deutschen Behörden immer darin unterstützen, politische Einflussnahme aus dem Ausland unter islamistischer Zielsetzung zu verhindern.

• Der Umgang mit politischer Einflussnahme aus dem Ausland ohne (!) islamistische Zielsetzung obliegt der deutschen Bundesregierung und den von ihr entsprechend eingesetzten Organen. Meine Mitgestaltung dieses Umgangs erfolgt durch mein Bürgerrecht der Wahl politischer Vertreter*innen.

• Eine politische Einflussnahme aus dem Inland (!) unter islamistischer Zielsetzung lehne ich ab; meine politische Arbeit in Deutschland ist u.a. darauf ausgerichtet, dass unsere Heimat eine solche Einflussnahme abwehrt und nicht zulässt. Ich werde die deutschen Behörden immer darin unterstützen, politische Einflussnahme aus dem Inland unter islamistischer Zielsetzung zu verhindern.

• Das von mir vertretene Islamverständnis ist von Friedfertigkeit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Liebe, Zuneigung, Mitgefühl, Diplomatie, Toleranz, Empathie, Gleichberechtigung, Offenheit, Lernen, Humanismus, Spiritualität, Religionsfreiheit und respektvollem Umgang der gesamten Schöpfung Gottes gegenüber geprägt. Physische und psychische Gewalt, Krieg, Terrorismus, Islamismus, Extremismus, Radikalismus, Ausgrenzung und Diskriminierung von Einzelpersonen oder Bevölkerungsgruppen, Feind- und Lagerdenken, Zwang aus religiösen oder ideologischen Gründen, Misogynie, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Homo- und Trans*phobie, sexuelle Fremdbestimmung, Rassismus, Faschismus, Zwangsheirat, Verstöße gegen Menschenrechte, medizinische Zwangsoperationen (zum Beispiel Zwangsbeschneidung, Genitalverstümmelung, Operationen zur Herstellung einer binären Geschlechtlichkeit nach Geburt, Organspende) oder -behandlungen (beispielsweise HIV-Tests, Medikamentenverabreichung) ohne Zustimmung der jeweiligen Patient*innen haben darin keinen Platz und werden von mir abgelehnt.

Abschließende Gedanken


Dieser Text sollte ursprünglich einen kurzen (!) Einblick in meine Sichtweise auf "den politisch( agierend)en Islam" sein, wurde jedoch im Verlauf des Schreibprozesse zu einer Art Positionspapier. Dies verblüffte mich selbst, hatte ich doch erwartet, ein eher spirituelleres Thema in meinem ersten Positionspapier in den Fokus zu nehmen. Nun bin ich aber froh, dass ich dieses Thema so umfangreich abgehandelt habe, denn es eröffnet mir die Möglichkeit, künftig religionsbezogenere Texte zu verfassen, ohne die drohende "Notwendigkeit" zur "politischen Positionierung" im Nacken zu haben.

Tatsächlich empfinde ich den Islam und die Botschaft Gottes in allen religiösen Traditionen als weniger staatspolitisch ausgerichtet, sondern vielmehr eine Unterstützung zur persönlichen spirituellen, religiösen und metaphysischen Entwicklung der Menschen auf dieser Welt. Aus meiner religiösen Sicht zählen daher innere Bewegung und Fortschritt stärker als äußere, strukturelle, politische Aktivitäten. Glaubensauffassung und -praxis kann und soll das gesamte Leben in allen Aspekten inspirieren und prägen und unterstützen, aber ihre Grenze liegt dort, wo im Gemeinwesen unterschiedliche Bedürfnisse bestehen (beispielsweise eben aufgrund verschiedener Religionen oder Rechtsauffassungen). Unser aller Ziel sollte ein gedeihliches Miteinander aller Völker und Länder dieser Erde sein, so dass Muslim*innen (wie auch Andersgläubige, auch und gerade in Deutschland) eine friedliche und stabile Gelegenheit haben, ihre innere, spirituell-religiöse Entwicklung zu verfolgen.

Eine letzte Anmerkung: Sollte ich Aspekte, speziell in der Aufzählung meiner Positionierungen, vergessen oder missverständlich ausgedrückt haben, so bitte ich um Entschuldigung - über entsprechende Rückmeldungen würde ich mich sehr freuen, um die Gelegenheit zu haben, meine Formulierung zu korrigieren oder zu erweitern.



[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann / Selfie ]

Sonntag, 25. November 2018

Mittendrin statt nur dabei

Warum ich nicht (so sehr) Opposition gegen "den traditionellen Islam" beziehe, sondern mich ihm zuwende und mit ihm verbinde.


Als Muslim und Imam mit progressiv-inklusivem Islamverständnis werde ich seit jeher zu Opposition, Empörung, Ablehnung und Kampf gegen "den traditionellen Islam" (vielleicht auch: "den Mainstream-Islam") in Deutschland aufgefordert. Kritisieren soll ich, parolisieren soll ich, verurteilen soll ich. Diese Erwartungen werden an mich herangetragen von verschiedensten Menschengruppen.

Da sind zum Beispiel die "islamfeindlichen Radikalatheisten", die grundsätzlich gegen Religionen, speziell aber gegen den Islam sind, weil sie ihn pauschalisiert als menschenverachtend, kriegerisch, unterdrückerisch und überhaupt abgrundtiefböse empfinden. Da sind die "islamophoben Rechtsnationalen", die wissen, dass sie ihren Rassismus in Form von Antisemitismus nicht so einfach mehr unters Volk (!) bringen können und statt dessen sich erstmal die andere große Religionsminderheit in Deutschland "zur Brust" nehmen. Und da sind die "liberalen, islamkritischen Muslim*innen", die sich eher gegen den Mehrheitsislam als für islamische Vielfalt in einer muslimischen Community einsetzen, die lieber nach bester "Die/Wir"-Manier spalten als Verbindungen schaffen und Überzeugungsarbeit leisten wollen. Um nur drei Gruppierungen zu nennen.

Keine Herz(!)lichkeit für Ferid Heider?


Ein Ereignis in diesem Kontext wird mir lange in Erinnerung bleiben. Es war kurz vor Ramadan dieses Jahres und die Diskussionswellen, wann denn Ramadan begänne und nach welcher Methode man* denn den Ramadanbeginn bestimmen solle, schlugen einmal mehr hoch. Imam Ferid Heider, der sehr umfangreich in verschiedenen Berliner Moscheen wirkt und als wahlweise "konservativer" und wahlweise als "radikaler" Prediger gilt (je nachdem, wen man* fragt), startete an einem der Vorabende der muslimsichen Fastenzeit ein Facebook-Live-Video und teilte den Zuschauenden seine Meinung zu der Ramadanstartzeitdiskussion mit. Er sprach mir aus tiefster Seele. Und da ich ihn zuvor schon zweimal getroffen hatte und unsere Treffen enorm angenehm, freundlich und sehr zugewandt verliefen, gab ich Ferid Heider eine Rückmeldung zu seinen Worten. Ich tat dies durch ein Herzchen-Smiley. Oder zwei.

Es dauerte keine drei Minuten, da wurde ich von einem "islamkritischen Nicht-Muslim" angeschrieben und aufgefordert, "so etwas" nicht zu machen, denn Ferid Heider sei doch ein "Mitglied der Muslim-Bruderschaft" und ein "Islamist" und überhaupt, das ginge doch gar nicht! Ja, ich war durchaus überrascht, wie sehr ich auf Facebook offenbar "überwacht" werde ... Alsdann wurde ich aufgefordert, mich doch künftig bei jeder Gelegenheit unbedingt gegen Ferid Heider zu empören, ich müsse doch kritisch gegenüber "solchen Leuten" sein. - Ich brach den Kontakt zu dem "Islamkritiker" ab.

Meine Bedrohung durch den "traditionellen Islam": Null.


Seit ich offen damit umgehe, gleichzeitig schwul und Muslim zu sein, und auch nachdem ich meinen Status als (erster offen schwul agierender) Imam mitteilte, habe ich keine einzige Gewalt- oder Mordandrohung erhalten. Ab und an bekomme ich die eine oder andere Facebook-Nachricht, ich solle doch "das mit der Homosexualität" sein lassen, eine Frau heiraten und Kinder zeugen, bzw. das Angebot, mich von "der Wahrheit der Lut-Geschichte" überzeugen zu lassen. Insgesamt kam es in den vergangenen zwölf Monaten zu drei Beleidigungen in den sozialen Medien gegen meine Person. Aber das war es auch. Ich werde durch den "traditionellen Islam" nicht bedroht. (Und dafür bin ich ehrlich dankbar.)

Im Gegenteil: Als ich vor einigen Tagen beim Berliner Forum der Religionen im Roten Rathaus die Imame Mohammed Taha Sabri (Dar assalam Moschee / Neuköllner Begegnungsstätte) und Abdel Adhim Kamouss (Stiftung Islam in Deutschland) traf, umarmten wir einander freundschaftlich, ja, geradezu brüderlich. Weil wir das nämlich (egal, ob wir in allen Dingen einer Meinung sind oder nicht) sind: Glaubensbrüder, die durchaus die Aufforderung Gottes begriffen haben, dass wir einander kennenlernen und voneinander lernen mögen, verstanden haben. Und auch, weil das im Umgang einfach nette und freundliche Menschen sind.

Nach der Meinung diverser Leute müsste ich mich absondern von all jenen, die anders denken als zum Beispiel ich oder die Gruppen, die Empörungsforderungen stellen an mich. Ich müsste "jene Leute" also ablehnen und bekämpfen, nur weil sie existieren und weil ich zu einer Gegnerschaft aufgefordert werde, deren Vorgeschichte ich nicht miterlebt habe. Ich soll Menschen meiden, obwohl sie freundlich auf mich zugehen, mit mir zugewandt sprechen und diskutieren. Ich soll opponieren statt zu koexistieren. Ich soll mich exkludieren, statt mich zu inkludieren. Ich soll mich abwenden, statt dabei zu sein.

Wirken aus der Mitte heraus


Ich werde von einigen dafür belächelt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich mehr Veränderung und Fortschritt bewirken kann, wenn ich "mittendrin statt nur dabei" bin im Islam. Mir liegt nichts daran, auf den Tellerrand zu klettern und die Suppe von außen belehren zu wollen (das entspricht auch nicht meiner Grundpersönlichkeit) - ich möchte mitten in der Suppe sitzen, ihre Wärme und ihren Geschmack geniessen, und Teil der Suppe sein, vielleicht die Suppe sogar bereichern.

Das bedeutet nicht, dass sich meine Meinung nicht unterscheiden kann und soll und darf von der anderer Muslim*innen. Aber genau eine Vielfalt der Meinungen und der Auslegungen und der Empfindungen und des Handeln innerhalb des Islams empfinde ich als etwas Hilfreiches. Wenn ich mich aus der Mitte der Gemeinschaft zurückziehe und an den Rand der Ummah stelle, dann nehme ich der Community einen Teil der Vielfalt ... nämlich meine Meinungen, meine Auslegungen, mein Empfinden und mein Handeln.

Viele Leute in Deutschland fordern von den "Newcomern", den nach Deutschland geflüchteten Menschen (die also nicht seit Geburt an hier leben), eine (möglichst sofortige!) Integration (und einige Leute erwarten sogar eine Assimilation) ... warum soll ich, der ich nicht durch Geburt Muslim bin, sondern im Vergleich zu "geborene Muslim*innen" auch ein Newcomer bin, warum soll ich mich nicht integrieren?

Ich bin der Meinung, dass ich durch mein "Mittendrin" mehr gewinne als ich verliere. Denn ich erhalte freundliche Begegungen mit anderen Muslim*innen, Inspirationen und sicherlich auch kritische Rückmeldungen. Und ich habe die Chance, Freund*innen zu finden. Wenn das nichts Wert ist ... ?



[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann / Selfie ]