Donnerstag, 26. Juli 2018

Koran-Rezitation beim CSD-Gottesdienst


Beim traditionellen interreligiösen Gottesdienst am Vorabend des CSD Berlin habe ich die ehrenvolle Aufgabe, für die Koran-Rezitation verantwortlich zu zeichnen.


Nach dem lesbischwulen Stadtfest in Berlin-Schönberg am vergangenen Wochenende steht der krönende Höhepunkt des diesjährigen "Pride Week" am Samstag auf dem Programm: der CSD (Christopher Street Day), eine Parade durch die Hauptstadt, eine Mischung aus politischer Demonstration und dem Feiern der LGBTIQ*-Emanzipationsbewegung. Inzwischen ist es eine wertgeschätzte Tradition, dass es am Vorabend des CSD Berlin einen Gottesdienst in der St. Marienkirche in Mitte gibt - was vor Jahren als christlicher Gottesdienst begann ist heute eine multi- und interreligiöse Veranstaltung mit liturgischen und ritualistischen Elementen aller großen Buchreligionen. In diesem Jahr habe ich die ehrenvolle Aufgabe, für die Koran-Rezitation verantwortlich zu zeichnen. Außerdem bin ich bei der Verlesung der Fürbitten eingeteilt.

Ohne Beschwernis unter dem Regenbogen zusammenkommen


In der Interreligiösität, in der spirituellen Begegnung von LGBTIQ*-Leuten und deren Zugehörigen unter der Obhut des Einen Gottes, liegt meiner Meinung nach eine enorme Chance. Hier gibt es Raum für Zusammenarbeit, Erkundung von Gemeinsamkeiten, Besinnung, Meditation und auch Versöhnung (ob nun mit sich selbst, mit Anderen oder mit Themen). Dieser CSD-Gottesdienst erlegt dabei den einzelnen Besucher*innen keine Bedingungen auf, man* muss nicht hetero oder weiß oder deutsch oder was-auch-immer sein, denn auch die Liebe und Barmherzigkeit Gottes ist nicht an Bedingungen geknüpft: Sie ist bedingungslos.
Im Qur'an spiegelt sich diese Bedingungslosigkeit, diese Unbeschwertheit wieder in folgenden Worten Gottes:
Es ist kein Zwang im Din (=in der Religion, im Glauben, deren Ausübung sowie den moralischen Grundwerten).
[Qur'an, Sure 2, Vers 256]

Gott knüpft also keine Bedingung an unsere Hingabe an die Schöpfung und die Göttlichkeit allüberall. Wir können uns unbeschwert unter dem Regenbogen (der auch für die enge Verbindung zwischen Gott und den Menschen steht und an sie erinnert) treffen und begegnen.

Eckdaten des Gottesdienstes


Der Gottesdienst am Vorabend des CSD 2018 findet statt am

Freitag,

27. Juli 2018

in der St. Marienkirche, Karl-Liebknecht-Str. 8, 10178 Berlin
(Nähe Alexanderplatz, beim Neptunbrunnen)

und beginnt pünktlich um

18:00 Uhr

Der Ablauf des Gottesdienstes wird voraussichtlich wie folgt sein:

Orgelvorspiel Johann Ludwig Krebs (1713 –1780), Fantasia in F
Einzug und Verehrung des Altars
Eingangslied „Pilger sind wir Menschen“
Votum und Begrüßung
Tagesgebet
Christoph Slomski und Dorrey Lin Lyles singen.
Lesung aus der jüdischen Weisheit aus dem Hohelied der Liebe
Yuval Hed singt Psalm 23; komponiert von Ben Zion Shenker
Lied EG 651 „Freunde, dass der Mandelzweig“
Rezitation von Koranversen (Übersetzung im Programmheft)
Gebet (muslimisch)
Christoph Slomski und Dorrey Lin Lyles singen.
Lied EG 331 Strophen 1, 4, 9 "Großer Gott, wir loben dich"
Lesung aus der Bibel; Bergpredigt Matthäus 5, 13 - 16
Valentina Bellanova spielt auf der türkischen Ney Sufi-Hymnen
Wort des Bürgermeisters von Berlin, Senator Dr. Klaus Lederer
Lied EG 351 1, 7, 12, 13 "Ist Gott für mich so trete…"
Predigt durch Bischöfin Rusudan Gotsiridze, Georgien
(Während der Predigt gibt es über die Kopfhörer, die Sie bei Alexander Brodt-Zabka am Eingang der Kirche bekommen können, eine simultane Übersetzung ins Deutsche.)
Christoph Slomski und Dorrey Lin Lyles singen.
Abkündigungen
Christoph Slomski und Dorrey Lin Lyles singen.
Fürbittengebet mit Kerzen Gemeinde: Amen
Lied "Verleih uns Frieden"
Segen jüdisch, christlich und muslimisch in Hebräisch, Arabisch und Deutsch
Orgelnachspiel Carl Piutti (1846–1902), Fest-Hymnus op. 20
Auszug
Empfang in der Marienkapelle



[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann ]

Dienstag, 24. Juli 2018

Ich bin kein liberaler Muslim !


Die Begriffe des "liberalen Islams" oder der "liberalen Muslim*innen" sind in Deutschland verbrannt und negativ konnotiert. Wer sich heute in der deutschen Islam-Community als "liberal" bezeichnet, wird in ein Außenbetrachtungsbild verortet, das weder für ein zeitgemäßes Islamverständnis noch für Inklusivität innerhalb der Ummah steht, sondern rein bzw. primär für islampolitischen und teilweise sogar für islamfeindliche Aktivismus.
- Christian Awhan Hermann


Ich bin zum Islam gekommen durch den Kontakt zu "liberalen Muslim*innen", durch eine "liberale Moschee" und definitiv durch die Offenheit, die beide mir als schwulen Mann entgegen brachten. Doch je länger ich mich innerhalb der deutschen Islam-Community bewege, desto stärker nehme ich wahr, wie abfällig Muslim*innen oft über "den liberalen Islam" sprechen, als wäre er eine Art "minderwertiger Islam", als wäre er etwas Ekliges und durch die bloße Fremdetikettierung etwas Frefelhaftes. "Liberaler Muslim" ist in einigen Ecken der Ummah geradezu ein Schimpfwort geworden, speziell wenn es um theologische Fragen geht, die an orthodoxen Traditionen kratzen.
Die Begriffe des "liberalen Islams" oder der "liberalen Muslim*innen" sind in Deutschland verbrannt und negativ konnotiert. Wer sich heute in der deutschen Islam-Community als "liberal" bezeichnet, wird in ein Außenbetrachtungsbild verortet, das weder für ein zeitgemäßes Islamverständnis noch für Inklusivität innerhalb der Ummah steht, sondern rein bzw. primär für islampolitischen und teilweise sogar für islamfeindliche Aktivismus. In diesem Text möchte ich meine Position zum Thema "liberaler Islam" erörtern.

Was ist eigentlich "liberal"?


Die Frage dürfte die Leser*innen meines Blogs nicht überraschen - ich beginne gern mit Definitionsklärungen und Grundlagen. Was bedeutet also "liberal" eigentlich?
Bei Google eingetippt kommen drei Definitionen:
• dem Einzelnen wenige Einschränkungen auferlegend, die Selbstverantwortung des Individuums unterstützend; freiheitlich ("ein liberales Gesetz")
• die Weltanschauung des Liberalismus betreffend, sie vertretend ("liberale Grundsätze")
• eine den Liberalismus vertretende Partei betreffend, vertretend, zu ihr gehörend ("liberale Abgeordnete")
Und in der Wikipedia findet man* unter "liberal" eine Verweisseite - nämlich hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Liberal

Vielfältige Bedeutungen


Der Begriff "liberal" hat also sehr vielfältige, mitunter stark politische Bedeutungen. Nicht zuletzt durch die deutsche Partei FDP ist der Begriff des Liberalismus auch parteipolitisch präsent.
Klicken wir in der Wikipedia weiter, dann finden wir den Artikel "Liberale Bewegungen im Islam" - namlilch unter https://de.wikipedia.org/wiki/Liberale_Bewegungen_im_Islam.
Wenn das größte Wiki der Welt sich auch bemüht, viele Aspekte fehlen oder sind zu knapp und daher potenziell missverständlich formuliert. Als Anstoß genügt der Artikel in jedem Falle.
Bei der weiteren Beschäftigung mit dem Begriff stößt man* international ebenfalls auf "liberal muslims", die oftmals aber ein anderes Selbstverständnis besitzen, auch weil im Ausland "liberal" nuanciert bis deutlich andere Definition besitzt. Auffällig ist, dass im englischen Sprachraum "liberal muslims" sich weit weniger stark politisch positionieren, sondern "liberal" eher eine Akzeptanz-/Toleranz-Konnotation bekommt.

Politik vs. Spiritualität


Für mich auffällig ist: Der deutsche "liberale Islam" in seiner tatsächlichen Manifestation hat beide Füße fest in der politischen Zielsetzung. Liberale muslimische Organsationen und vor allem deren Vertreter*innen äußern sich primär politisch, wenig bis selten aber religiös/spirituell. Ob Kopftuchstreit, Neutralitätsgesetz (!) oder Islamismus-Diskussion: Der liberale Islam reiht sich ein in das partei- und lobby-politische System. Das mag per se erst einmal nichts Schlimmes sein, holt aber sicherlich die Eine oder den Anderen spirituell überhaupt nicht ab. So auch mich.
Nun könnte man* sagen, der "liberale Islam" habe gar nicht die Aufgabe, spirituell zu wirken (tatsächlich höre ich das immer wieder). Oder er müsse erst einmal den Raum für "liberale Spiritualität" schaffen. Mich als primär spirituell ausgerichteten Muslim berühren diese Argumente nur wenig. Auf dem Weg durch die Imamausbildung ist mir an jedem Tag bewusst, dass ich keine primär politischen Interessen habe, sondern spirituelle.
Ich hatte vor einiger Zeit die Gelegenheit, mich ein wenig mit Amina Wadud zu unterhalten. Sie betonte in dem Gespräch, dass sie sich selbst nicht mehr als "liberal" oder "progressiv" bezeichnet, sondern als "inklusiv". Der Begriff "liberal" sei ihr zu verbrannt, zu missbraucht und zu politisch. Dem kann ich mich nur anschließen.

"Liberaler Islam" als neue Rechtsschule?


Ich werde gern gefragt, ob ich Sunnit oder Schiit sei, welcher islamischen Rechtsschule ich denn anhänge. Gern antworte ich: Ich bin Muslim, alles andere sind menschengemachte Etikettierungen, die eher trennen als dass sie zusammenführen. Oft sind die Fragenden mit dieser Antwort unzufrieden.
Mir begegnete ein interessanter Gedank für einiger Zeit während meiner Studien: Ist es nicht so, dass der liberale Islam quasi eine neue islamische Rechtsschule bildet? Eine Rechtsschule, die sich nicht nur durch andere Auslegungen sondern auch durch ein anderes (nämlich ein diverses, ambiguitätstolerantes) System auszeichnet? - Das ist ein sehr interessanter Gedanke, wenn auch schwer erörterbar, eben wegen der starken politischen Ausrichtung des liberalen Islams in Deutschland. Vielleicht sollte man es eher so ausdrücken: "Die Bewegung der liberal-progressiv-inklusiven Muslim*innen bildet quasi eine neue Rechtsschule" ? Ich glaube, es lohnt sich, diesen Gedanken separat noch einmal aufzugreifen.

Nein zum Schimpfwort-Etikett


Jede*r Muslim*in (Ausnahmen bestätigen die Regel) hat das Interesse, ein gutes und friedliches Leben innerhalb der lokalen und globalen Gemeinschaft der Menschen zu führen. Und selbst bei Meinungsverschiedenheiten über Auslegung, Tradition, Regeln und vielem mehr ist unser aller Hauptanliegen doch eigentlich nicht der überstarke Kampf oder gar Krieg gegeneinander.
Über die Zeit hinweg habe ich festgestellt: Ich habe kein Interesse, meinen Glauben mit einem Schimpfwort und mit der primär politischen Arbeit Anderer zu etikettieren. Nein, ich bin kein liberaler Muslim. In erster Linie bin ich Muslim und begreife daher als solcher meine religiöse und spirituelle Verbindung sowohl mit allen anderen Muslim*innen (so zuwider mir ihre Ansichten auch sein mögen) wie auch mit allen (!) anderen Menschen weltweit.
Vielleicht vertrete ich "inklusive Vorstellungen" innerhalb meiner Religion, vielleicht mitunter auch "konservative", je nach Betrachtungsstandpunkt und -position. Aber das Etikett "liberal" ist nicht (mehr) meines. Insbesondere angesichts vieler Äußerungen, die von verschiedenen "liberale Muslim*innen" in Deutschland gemacht wurden und werden (die zudem üblicherweise ja politisch und nicht spirituell/religiös sind) - nein, mir diesen Äußerungen und Positionen möchte ich nicht gleichgesetzt werden.
Ich bin kein liberaler Muslim.



[Bildnachweis: Ausschnitt aus https://cdn.pixabay.com/photo/2014/11/08/01/20/bald-eagle-521492_960_720.jpg ]

Freitag, 20. Juli 2018

Freitagsimpuls: Der Wert des Qur'an


Freitagsimpuls zum 20. Juli 2018


Ein zentraler Aspekt der muslimischen Spiritualität ist zweifelsohne die Beschäftigung mit dem Qur'an (eingedeutscht: Koran), der Sammlung von den an den Propheten Mohammed (Fsai) offenbarten göttlichen Botschaftstexten. Der Qur'an stellt einen wichtigen Bestandteil der spirituellen Unterstützung durch Allah dar und gilt als direkt überliefertes Wort Gottes an die Menschen (wichtig dabei: nicht nur an die arabischen Menschen!).
Ich möchte im heutigen Freitagsimpuls kurz auf die Wertbedeutung des Qur'an innerhalb der Ummah (der muslischen Gemeinschaft) eingehen.

Wie entstand der Qur'an, den wir heute lesen?


Ich will nicht das, was in Büchern und Artikeln hundertfach zu lesen ist, hier wiedergeben, nur um bereits anderweitig bekannte Informationen in Form einer adaptierten Kopie als meinen Text zu präsentieren. Daher fasse ich nur einige Eckpunkte zusammen, dann komme ich nämlich schneller an den Punkt, der mir wirklich am Herzen liegt mit meinem Impuls.
Bereits während Mohammed die ihm offenbarten Verse durch Rezitation veröffentliche, also öffentlich wiedergab, gingen seine Gefährt*innen und Anhänger*innen daran, die Texte für die Zukunft zu "sichern". Sie memorierten die Verse und schrieben sie teilweise auch auf. Aus der Gänze dieser Quellen entstand unter Mohammeds Nachfolgern Buchsammlungen der Verse in Form normierter Transkripte, die fortan als Grundlage zur Vervielfältigung - zunächst per Hand, später natürlich mittels Buchdruck - dienten.
Wenn wir also heute eine gedruckte Ausgabe des Qur'an in die Hand nehmen, dann nehmen wir das Ergebnis von 14 Jahrhunderten menschlicher Überlieferung und Arbeit in die Hand.

Der Wert hunderttausender Leben


Über die Jahrhunderte hinweg haben hunderttausende Menschen, wenn nicht mehr, Zeit und Energie darauf verwandt, sich hilfreich mit dem Qur'an zu beschäftigen. In frühen Zeiten der Ummah haben Schreiber abertausende Kopien des Qur'an hergestellt, später waren Menschen mit der Einrichtung der Buchdruckwerkzeuge und dem händischen Binden von gedruckten Ausgaben beschäftigt, dann kam die Zeit der ersten Übersetzungen und Übertragungen, und auch heute sind Leute damit umfangreich beschäftigt, Qur'an-Ausgaben digital vorzubereiten und entweder geruckt oder auch digital zu veröffentlichen. Wenn ich heute ein Exemplar des Qur'an in die Hand nehme, nehme ich die Arbeit huntertausender Menschen aus vierzehn Jahrhunderten in die Hand - von der göttlichen Botschaft einmal abgesehen.
Keine Frage: Dem Inhalt des Qur'an als Teil von Allahs Rechtleitung und Unterstützung gebührt die höchstmögliche Anerkennung, Dankbarkeit und Respektbezeugung. Aber auch das Wirken aller Menschen, die an der Verbreitung des Qur'an beteiligt waren und sind, trägt zum Wert des Qur'an bei. Denn der Qur'an ist ja die Botschaft Gottes an die Menschen und als Gottes Stellvertreter auf Erden tragen sie zu der Pflege von Allahs Botschaft bei.

Gottesbotschaft und Menschenwerk


Das physische Buch "Qur'an" symbolisiert und transportiert also nicht nur Allahs Botschaft, sondern auch die Arbeit so vieler Menschen, die uns die spirituelle Beschäftigung mit dem Qur'an erst ermöglichen. Das Werk der Menschen addiert sich also zum Wert des Qur'an hinzu. Jeder Handgriff, jede Versübersetzung, jeder Kommentar und jede INterpretation gebührt unsere Wertschätzung.
Die Bewusstmachung dieser (kleinen) "Werterhöhung" finde ich inspirierend, denn sie zeigt uns auf, dass es durch den gedruckten und verbreiteten Qur'an eine haptisch spürbare Verbindung zwischen Allah und den Menschen gibt. Der Qur'an ist damit eine Manifestation unserer Verbundenheit mit Gott.



[Bildnachweis: https://pixabay.com/de/heiliger-koran-ramadan-heilig-monat-1528446/ ]

Freitag, 13. Juli 2018

Freitagsimpuls: Liebe für alle Menschen


Freitagsimpuls zum 13. Juli 2018


Gestern, am Donnerstag den 12. Juli 2018, besuchte ich einen Vortrag von Shaykh Imran Angullia Al-Hafidz. Die Muslimische Hochschulgruppe Berlin hatte in kleiner Runde im Rahmen einer Rundreise des Shaykh eingeladen. Als Thema stand "Liebe" im Mittelpunkt.
Der Shaykh referierte vor allem über die Liebe verschiedener Gefährten des Propheten Mohammed (Fsai) zu demselben und den Auswirkungen, die Mohammeds Ableben auf diese Sahaba hatten. Viele Reaktionen, speziell die von Bilāl ibn Rabāh, glich der von Menschen, die einen Beziehungspartner verloren.

Was ist eigentlich "Liebe"?


Das Phänomen "Liebe" zu definieren, zu erforschen und darzustellen würde den Rahmen dieses Freitgsimpulses sprengen. Mein Eindruck von der Auffassung der Liebe innerhalb der drei Buchreligionen aber ist durchaus, dass jede Form von Liebe zwischen Menschen eine Spiegelung und Ausprägung der "Göttlichen Liebe" ist, die zwischen Gott und den Menschen (inklusive den Propheten und Gesandten) besteht. Eine Manifestation innerhalb der muslimischen Religion ist die "Rechtleitung", die von Allah gesandte Unterstützung, die sich auch besonders im Qur'an darstellt.
In der Sure 2 (al-Baqara), die mich sehr beschäftigt und fasziniert, spricht Allah in Vers 185:
Der Monat Ramaḍān (ist es), in dem der Qurʾān als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist und als klare Beweise der Rechtleitung und der Unterscheidung.

Für mich ist dies aktuell eine der berühresten Stellen im Qur'an, denn hier wird die Rechtleitung und damit sowohl die Barmherzigkeit und Liebe Gottes nicht auf bestimmte Personengruppen begrenzt, sondern Allah spricht eindeutig von "die Menschen", ohne Einschränkung, ohne Erläuterung, einfach "die Menschen". Alle.

Liebe für alle Menschen


Wenn also Allah seine Liebe an alle Menschen zum Ausdruck bringt, dann dies sollte für uns Auftrag sein, diese Liebe einander angedeien zu lassen, weiterzugeben, gemeinsam zu pflegen, ohne Einschränkungen, an alle Menschen.
Alle Menschen, das schließt viele Leute ein, die dir und mir Verletzungen zugefügt haben, die dich und mich als nicht wertvoll oder hilfreich betrachten, die uns verachten oder bekämpfen oder unterdrücken. Aber selbst in der gegenseitigen Liebe zwischen Menschen - in Familien oder zwischen Liebepartner*innen - kennen wir Momente, in denen Liebe nicht immer so einfach ist. Liebe ist Arbeit, Liebe muss gepflegt werden. Entsprechend ist die universelle Liebe zwischen allen Menschen auch nicht perfekt, denn wir sind nicht so eng mit Gott verbunden wie seine Gesandten. Trotzdem sollte unser Zeil sein, zumindest in unserem Herzen, liebevolles Wohlwollen allen Menschen gegenüber zu empfinden.

Ohne Einschränkungen


Allen Menschen gegenüber. Das inkludiert Personengruppen, die am Rande der Gesellschaft stehen, und auch Minderheiten jeglicher Art. Die uns aufgezeigte, bedingungslose Liebe ist uns Auftrag, nicht an bestimmten Menschen vorüberzugehen und sie auszulassen. Weder Menschen mit Handicaps noch Andersgläubige noch LGBTIQ*-Menschen noch Schwerverbrecher sollen ignoriert bzw. ausgeschlossen werden. Auch sie verdienen die Liebe Gottes.
Und gerade in Bezug auf LGBTI*Q-Menschen sage ich allen, die ihre Liebe an Bedingungen knüpfen (wie zum Beispiel die "Rückkehr" jener zur Hetero- oder Geschlechternormativität): Allah liebt bedingungslos, also ist Euer Auftrag, von Euren Bedingungen an andere Menschen abzulassen und einfach nur zu lieben. Alle Menschen. Ohne Einschränkungen!



[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann - Aufnahme mit Shaykh Imran Angullia Al-Hafidz am 12. Juli 2018 ]

Freitag, 6. Juli 2018

Freitagsimpuls: Was ist Islam ?


Freitagsimpuls zum 6. Juli 2018


Ich arbeite zur Zeit an einem Text zum Thema "Reform im Islam" und im Zuge der Vorbereitung habe ich bei Facebook in verschiedenen Gruppen die Frage "in den Raum gestellt" :
Was versteht Ihr unter "Reform im Islam",
welche Aspekte bewegen Euch dabei,
welche Gedanken habt Ihr dazu?

In den Rückmeldungen zu dieser Fragestellung kam der Wunsch auf, ob man* sich nicht einmal bzw. zuvor mit der Definition von Islam und den verschiedenen Islamverständnissen beschäftigen möchte.
Das bewog mich, diese Thematik in den Mittelpunkt dieses ersten Freitagsimpulses zu stellen.

Was ist eigentlich "Islam"?


Gibt man* "Islam" als Suchbegriff bei Google ein, erhält man* (ungefähr) 470 Millionen Ergebnisse. Der Link zum Wikipedia-Artikel steht dabei ganz oben, dort ist "Islam" die Bezeichnung für ...
[...] eine monotheistische Religion, die im frühen 7. Jahrhundert n. Chr. in Arabien durch Mohammed gestiftet wurde. [...] Der Islam wird allgemein auch als abrahamitische, als prophetische Offenbarungsreligion und als Buch- oder Schriftreligion bezeichnet.

Nach dieser Kurzdefinition wird erwähnt, das arabische Wort Islām (islām / إسلام) sei ein Verbalsubstantiv zu dem arabischen Verb aslama („sich ergeben, sich hingeben“). Es bedeute wörtlich das „Sich-Ergeben“ (in den Willen Gottes), „Sich-Unterwerfen“ (unter Gott), „Sich-Hingeben“ (an Gott), oft einfach mit Ergebung, Hingabe und Unterwerfung wiedergegeben.
Aber ist das so? Verwenden wir (weltweit wie persönlich einzeln) den Begriff "Islam" immer nur als Bezeichnung der islamischen Religion? Oder gibt es andere Verwendungsweisen, andere Ansichten, andere Begrifflichkeiten?

"Islam" als diffuser Begriff


Meine Erfahrung bisher zeigt, dass "Islam" gern von Menschen und gerade in den Medien als diffuser Begriff verwendet wird, der alle möglichen Dinge bezeichnen und einschließen kann. Spitzenreiter ist dabei natürlich "der Islam" als verallgemeinernder Sammelbegriff für Religionsbezeichnung und für alle Muslim*innen jeglicher Strömung sowie für alle überwiegend islamischen und/oder muslimischen Länder und Regierungen und Organisationen. Gleich danach auf meiner Liste steht der "politische Islam", der sowohl äußerlich diffus ist (denn er steht meistens für alle überwiegend islamischen und/oder muslimischen Länder und Regierungen und Organisationen steht wie auch für alle Muslim*innen jeglicher Strömung, die jenen angehören und/oder unterstützen und/oder sie aktiv oder stillschweigend passiv dulden) wie auch innerlich wie auch innerlich (als Abgrenzungsbegriff für den stets unerwähnten "nichtpolitischen Islam", dessen Definition aufgrund der Nichterörterung quasi hyperdiffus hinten über fällt). Auch unter spezifierenden Etiketten entstandene Begriffe wie "liberaler Islam", "konservativer Islam", "feministischer Islam", "radikaler Islam", "schiitischer Islam", "sunnitischer Islam" u.v.m. finden Anwendungen; ihnen ist gemeinsam, dass sie "den Islam" in verschiedene Gruppierungen einzuteilen suchen, die voneinander durch (ebenfalls diffuses) theologische und politische Schlüsselinhalte unterschieden bzw. definiert werden sollen. Speziell das Verständnis der zuletzt genannten "Etiketten-Begriffe" innerhalb der "islamischen Welt / Community / Gemeinschaft / Ummah" ist allerdings sehr stark variabel und verschiedene Muslim*innen (und auch Nicht-Muslim*innen) verstehen sehr verschiedene Dinge unter diesen Begriffen.
Alles in allem sind alle diese "Islam-Begriffe" enorm diffus, stark unterschiedlich in der persönlichen Wahrnehmung und damit so gar nicht geeignet zur ordentlichen Verwendung beispielsweise in den Medien geschweige denn im wissenschaftlichen (auch im islamwissenschaftlichen) Kontext. Diese Begriffe nutzen uns also nicht wirklich, sie erzeugen nur einen diffusen Nebel, den niemand durchblicken kann. Begegnungen innerhalb dieses Nebels müssen also zwangsläufig oft in Kollisionen enden, wenn sich die Begegnungspartner einander überhaupt treffen und nicht aneinander vorbei durch den Nebel steuern.

"Islam" als persönlicher Begriff


Ich höre immer wieder, dass Muslim*innen von "meinem Islam" sprechen. Viele verstehen "Islam" nicht nur als neutralen Begriff, der die Religion bezeichnet, der sie angehören (quasi als instrumentelle Bezeichnung), sondern Ausdruck ihrer eigenen muslimischen Religionsausübung sowie als Summe ihrer spirituellen Inhalte und Entwicklungen (als expressiven Begriff).
Wenn ich diese Begriffsauffassung mit dem qur'anischen Begriff des Dīn verbinde (und das muss ich m.E., wenn ich die Botschaft Allahs theologisch korrekt betrachten möchte), dann bietet sich eine spannende Schlussfolgerung an.
Zunächst kurz zum Begriff Dīn :
Dīn (arabisch دين) ist ein Kernbegriff des Islam, der im Koran an zahlreichen Stellen erscheint und mit der Grundbedeutung von „Religion“, „Glaube“ wiedergegeben werden kann. [Wikipedia-Artikel]

Hier zeigt sich, dass die Wikipedia nicht alles abbilden kann, steht doch der Begriff des Dīn für mehr als nur Religion und dessen Ausübung, sondern auch für die Summe aller moralischen und ethischen menschlichen Grundsätze.
Dessen also eingedenk könnte man* den personellen Islam, als persönlicher und expressiver Begriff, (und hier kommt die sich anbietende Schlussfolgerung) als einen Teil des Dīn ansehen, vielleicht sogar nur als Aspekt der persönlichen Religionsausübung und nicht als Religionsbezeichnung.
Spinnen wir das Ganze noch weiter: Wenn "Islam" eine Bezeichnung für "die muslimische Religion" ist und "Islam" auch als Begriff für die persönliche, spirtuell beprägte Ausübung der muslimsichen Religion steht, könnten wir dann nicht die Summe aller moralischen und ethischen menschlichen Grundsätze auch als "Islam" bezeichnen. Und somit Dīn als Klammerbegriff für die verschiedenen "Islame" verstehen?
Unter diesen Gedanken betrachtet verlieren die Nebel-Islam-Begriffe umso mehr ihre Sinnhaftigkeit, weil sie allesamt nur diffuse Andeutungen tatsächlicher Ausprägungen und Details des Dīn sind bzw. wären. Und so gesehen könnte eine Reduktion ihrer Nutzung und eine stärker Erforschung der Aspekte des Dīn vorteilhaft sein.



[Bildnachweis: Ausschnitt aus https://pixabay.com/de/sternenhimmel-kirche-kapelle-kreuz-1246272/ ]

Montag, 2. Juli 2018

Solidarität mit dem Istanbul Pride


Während wir mit der Demo vom Hermannplatz zum Kottbusser Tor ziehen,
werfen Kinder vom Spielplatz auf der anderen Straßenseite aus Steine.
Die Steine treffen niemanden, die Kinder sind zu jung.
Noch.


"Berlin walks with Istanbul Pride" war der offzielle Titel der Demonstration, die gestern, am Sonntag den 1 Juli 2018, stattfand. Zum vierten Mal in Folge wurde der Istanbul Pride - der CSD in der türkischen Stadt am Bosporus - verboten. Erneut gab es dort ein völlig sinnlos und unnötige, extreme Polizei- und Militäraufgebot. Doch erstmal wurde in Berlin eine Solidaritätsdemonstration organisiert und durchgeführt. Und ich war dabei.
Zusammen mit etwa 600 anderen Demonstration*innen zog ich ab 17 Uhr vom Hermannplatz über das Kottbusser Tor zum Oranienplatz. Unterwegs erlebte ich ein kleines Wechselbad der Gefühle: Steine werfende und Stinkefinger zeigende Kinder (mädchen wie Jungen), tanzende Imbissbesitzer, verstohlene Blicke hinter Gardinen, am Demoverlauf stehende, handyfilmende Menschen mit "Ich werde das dokumentieren"-Gesicht, amüsierte kopftragende Musliminnen, übertrieben ernst dreinblickende Polizisten (ich habe keine einige Frau in Uniform gesehen).

Solidarität ist essenziell


Die Demonstration brachte mir das Thema der Solidarität von Menschen zueinander einmal mehr ins Bewusstsein. Denn ist es nicht das, wozu wir aufgefordert werden im Qur'an? Sich umeinander zu kümmern, für einander einzustehen, sich gegenseitig zu versorgen? Auch und gerade mit Allah als Quelle der Rechtleitung und Unterstützung?
Gewiß, Allah ist der Versorger, der Besitzer von Kraft und der Feste.
[Qur'an, Sure 51, Vers 58]

Es ergibt also Sinn, andere Menschen zu unterstützen - speziell bei zumeist muslimischen LGBTIQ*-Leuten in einem islamischen Land, die von ihrer eigenen Regierung diskriminiert und verfolgt werden, ist Solidarität und Hilfe ebenso hilfreich wie islamisch.

Begegnungen mit LGBTIQ*-Muslim*innen


Das Berührendste für mich an dieser Demo aber waren die Begegnungen mit muslimischen LGBTIQ*-Leuten, die mich teils unsicher, teils begeistert ansprachen. Mit ihnen sprach ich über die Vereinbarkeit des Muslim- und des LGBTIQ*-Seins, beantwortete Fragen, tauschte Kontaktdaten aus und machte gemeinsame Bilder. Diese Begegnungen waren - wie die gesamte Demo - von friedlichkämpferischer Heiterkeit geprägt.
Und da war diese eine ältere Dame am Oranienplatz. Sie war weit älter als 60, türkischer Abstammung, nicht mehr so richtig gut zu Fuß, trug ein Kopftuch mit braun-goldenen Mustern und lief verwirrt durch die Abschlusskundgebung. Für sie war ich mit meinem "traditionellem Look" ein Anker in der Dabke tanzenden Menge; sie kam zu mir und sprach mich an. Wofür dieses Fest denn sei? Ich erklärte es ihr und befürchtete schon Ablehnung oder Schlimmeres. Aber sie sagte einfach nur: "Ah, das ist gut". Und dann lächelte sie mich ehrlich an und ging mit einem "Salam aleykum" nickend weiter.
Später dann, als ich erschöpft heimkam, zog ich ein sehr positives Fazit. 600 Leute zeigten ihre Solidarität für Menschen in Istanbul. Das war eine gute Sache, voller Kraft und Nächstenliebe.



[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann ]