Während wir mit der Demo vom Hermannplatz zum Kottbusser Tor ziehen,
werfen Kinder vom Spielplatz auf der anderen Straßenseite aus Steine.
Die Steine treffen niemanden, die Kinder sind zu jung.
Noch.
"Berlin walks with Istanbul Pride" war der offzielle Titel der
Demonstration, die gestern, am Sonntag den 1 Juli 2018, stattfand. Zum vierten Mal in Folge wurde der Istanbul Pride - der CSD in der türkischen Stadt am Bosporus - verboten. Erneut gab es dort ein völlig sinnlos und unnötige, extreme Polizei- und Militäraufgebot. Doch erstmal wurde in Berlin eine Solidaritätsdemonstration organisiert und durchgeführt. Und ich war dabei.
Zusammen mit etwa 600 anderen Demonstration*innen zog ich ab 17 Uhr vom Hermannplatz über das Kottbusser Tor zum Oranienplatz. Unterwegs erlebte ich ein kleines Wechselbad der Gefühle: Steine werfende und Stinkefinger zeigende Kinder (mädchen wie Jungen), tanzende Imbissbesitzer, verstohlene Blicke hinter Gardinen, am Demoverlauf stehende, handyfilmende Menschen mit "Ich werde das dokumentieren"-Gesicht, amüsierte kopftragende Musliminnen, übertrieben ernst dreinblickende Polizisten (ich habe keine einige Frau in Uniform gesehen).
Solidarität ist essenziell
Die Demonstration brachte mir das Thema der Solidarität von Menschen zueinander einmal mehr ins Bewusstsein. Denn ist es nicht das, wozu wir aufgefordert werden im Qur'an? Sich umeinander zu kümmern, für einander einzustehen, sich gegenseitig zu versorgen? Auch und gerade mit Allah als Quelle der Rechtleitung und Unterstützung?
Gewiß, Allah ist der Versorger, der Besitzer von Kraft und der Feste.
[Qur'an, Sure 51, Vers 58]
Es ergibt also Sinn, andere Menschen zu unterstützen - speziell bei zumeist muslimischen LGBTIQ*-Leuten in einem islamischen Land, die von ihrer eigenen Regierung diskriminiert und verfolgt werden, ist Solidarität und Hilfe ebenso hilfreich wie islamisch.
Begegnungen mit LGBTIQ*-Muslim*innen
Das Berührendste für mich an dieser Demo aber waren die Begegnungen mit muslimischen LGBTIQ*-Leuten, die mich teils unsicher, teils begeistert ansprachen. Mit ihnen sprach ich über die Vereinbarkeit des Muslim- und des LGBTIQ*-Seins, beantwortete Fragen, tauschte Kontaktdaten aus und machte gemeinsame Bilder. Diese Begegnungen waren - wie die gesamte Demo - von friedlichkämpferischer Heiterkeit geprägt.
Und da war diese eine ältere Dame am Oranienplatz. Sie war weit älter als 60, türkischer Abstammung, nicht mehr so richtig gut zu Fuß, trug ein Kopftuch mit braun-goldenen Mustern und lief verwirrt durch die Abschlusskundgebung. Für sie war ich mit meinem "traditionellem Look" ein Anker in der Dabke tanzenden Menge; sie kam zu mir und sprach mich an. Wofür dieses Fest denn sei? Ich erklärte es ihr und befürchtete schon Ablehnung oder Schlimmeres. Aber sie sagte einfach nur: "Ah, das ist gut". Und dann lächelte sie mich ehrlich an und ging mit einem "Salam aleykum" nickend weiter.
Später dann, als ich erschöpft heimkam, zog ich ein sehr positives Fazit. 600 Leute zeigten ihre Solidarität für Menschen in Istanbul. Das war eine gute Sache, voller Kraft und Nächstenliebe.
Ω
[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann ]
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