Samstag, 30. Juni 2018

Regenbogenabend im Reichstag


"Bist du jetzt Moslem?"
- "Hallo erstmal. Und ja, ich bin letztes zum Islam gekommen"
"So, so, naja, Sachen gibt's." (Dreht sich um und geht kommentarlos weg)


Gestern luden die GRÜNEN zum jährlichen Regenbogenabend in den Reichstag ein - erstmals besuchte ich diese Veranstaltung als Muslim und quasi irgendwie ein bisschen auch als Vertreter von LGBTIQ*-Muslim*innen. Zusammen mit meiner guten Freundin Schwester Suzette vom Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz (1) traf ich Bekannte und Freund*innen, lernte neue Leute kennen, brachte mich auf den neuesten Stand der Aktivitäten diverser LGBTIQ*-Aktivist*innen und lauchte den Reden des Abends.
Dabei war sehr auffällig: Vielen Leuten fiel bei meinem Anblick (2) ihr Lächeln aus dem Gesicht, als sie mich sahen oder trafen. Ihre Mimik sprach Bände. "Was macht denn so einer hier?" - "Ist der jetzt Islamist?" - "Warum hat die Security denn den reingelassen?". In einigen Gesprächen konnte ich ein paar Vorbehalte und Vorurteile zerstreuen, aber bei fast 700 Gäst*innen kommt man* mit den meisten gar nicht in ein näheres Gespräch.

Intoleranz innerhalb der Community


Da war sie wieder, die Intoleranz innerhalb der LGBTIQ*-Community. Egal, ob man* beispielsweise nicht körpernormativ gebaut (3), erkennbar Muslim*in oder einfach nur Frau ist (4): Ausgrenzung findet statt, auch in der Bevölkerungsgruppe, die selbst auf Toleranz und Inklusion angewiesen ist. So kurios das ist, im Falle der Intoleranz gegenüber Muslim*innen verstehe ich die Hintergründe durchaus.
LGBTIQ*-Menschen sind über Jahrhunderte hinweg in Europa Opfer von Verfolgung gewesen (5), auch und gerade unter Anheizung speziell der christlichen Kirchen, von denen die katholische Kirche bis heute nicht ablässt. Religion steht bei LGBTIQ*-Leuten also eher für Ausgrenzung, Intoleranz und Sündhaftigkeitszuschreibung, weniger für Inklusion und vielfältiges Miteinander. Der 11. September (9/11) tat sein Übriges, um das (nicht zutreffende) Bild des Islams als "Religion des Terrors" in der westlichen Welt zu prägen. Eigentlich logisch, dass es zu Gesichtsentgleisungen einem Muslim gegenüber auf einem grünen Regenbogenabend kommen mag.
Wirklich lustig ist das jedoch nicht. Den ganzen Abend lang über irritierte Blicke, beispielsweise auch als "der Muslim" am Rand der Tanzfläche steht und mit der Musik mitwippt, oder als er einfach nur durch die Menge geht, auf der Suche nach jemandem. Immerhin: Mein überwiegend freundliches Lächeln entschärfte einige Situationen, aber ich merkte die bohrenden Blicke in meinem Rücken durchaus. Dieser Abend war kein heiteres Netzwerken, sondern harte Arbeit.

Augen auf und durch


Aber hey, da muss ich halt durch. Ebenso, wie ich bestimmte Positionen innerhalb der muslimischen Community vertrete, vertrete ich auch innerhalb der LGBTIQ*-Community eine Message. Nicht zuletzt lautet diese: "NEIN zu HETZE gegen Muslime", wie Sr. Suzette und ich auf unserem gemeinsamen Bild in der Fotobox der Veranstaltung (siehe oben) klare Stellung bezogen. Das gilt nicht nur in der heteronormativen Gemeingesellschaft, sondern auch in der LGBTIQ*-Community.
Also öffne ich meine Augen für gute und schöne und inspirative Begegnungen, gehe wieder und wieder ins Gespräch, räume mit Vorurteilen auf und werbe für differnzierte Betrachtung von Religion und Glauben in der queeren Welt.
Als ich nach dem Regenbogenabend nach Hause kam und ins Nachtgebet ging, hatte ich einiges, was ich mit Allah (6) teilen konnte. Nach dem Gebet saß ich noch einige Zeit auf meinem Teppich und formulierte Bittgebete für die Menschen, die ich im Reichstag traf. Auch und gerade für jene, die unsicher und irritiert und ablehnend reagiert hatten, auf dass sie sich mit der Zeit daran gewöhnten, dass LGBTIQ*-Muslim*innen existieren und sichbar werden dürfen.

Fussnoten:
(1) www.indulgenz.de
(2) Ich trug ein sandfarbenes pakistanische Gewand und eine Gebetsmütze
(3) Stichwort: Body-Shaming
(4) Die Misogynie unter schwulen Männern ist noch immer enorm hoch
(5) Zuletzt fand im Dritten Reich unter Hitler eine systematische Verfolgung und Vernichtung von LGBTIQ* statt
(6) Anderes Wort für: Den Einen Gott



[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann ]

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