Dienstag, 24. Juli 2018

Ich bin kein liberaler Muslim !


Die Begriffe des "liberalen Islams" oder der "liberalen Muslim*innen" sind in Deutschland verbrannt und negativ konnotiert. Wer sich heute in der deutschen Islam-Community als "liberal" bezeichnet, wird in ein Außenbetrachtungsbild verortet, das weder für ein zeitgemäßes Islamverständnis noch für Inklusivität innerhalb der Ummah steht, sondern rein bzw. primär für islampolitischen und teilweise sogar für islamfeindliche Aktivismus.
- Christian Awhan Hermann


Ich bin zum Islam gekommen durch den Kontakt zu "liberalen Muslim*innen", durch eine "liberale Moschee" und definitiv durch die Offenheit, die beide mir als schwulen Mann entgegen brachten. Doch je länger ich mich innerhalb der deutschen Islam-Community bewege, desto stärker nehme ich wahr, wie abfällig Muslim*innen oft über "den liberalen Islam" sprechen, als wäre er eine Art "minderwertiger Islam", als wäre er etwas Ekliges und durch die bloße Fremdetikettierung etwas Frefelhaftes. "Liberaler Muslim" ist in einigen Ecken der Ummah geradezu ein Schimpfwort geworden, speziell wenn es um theologische Fragen geht, die an orthodoxen Traditionen kratzen.
Die Begriffe des "liberalen Islams" oder der "liberalen Muslim*innen" sind in Deutschland verbrannt und negativ konnotiert. Wer sich heute in der deutschen Islam-Community als "liberal" bezeichnet, wird in ein Außenbetrachtungsbild verortet, das weder für ein zeitgemäßes Islamverständnis noch für Inklusivität innerhalb der Ummah steht, sondern rein bzw. primär für islampolitischen und teilweise sogar für islamfeindliche Aktivismus. In diesem Text möchte ich meine Position zum Thema "liberaler Islam" erörtern.

Was ist eigentlich "liberal"?


Die Frage dürfte die Leser*innen meines Blogs nicht überraschen - ich beginne gern mit Definitionsklärungen und Grundlagen. Was bedeutet also "liberal" eigentlich?
Bei Google eingetippt kommen drei Definitionen:
• dem Einzelnen wenige Einschränkungen auferlegend, die Selbstverantwortung des Individuums unterstützend; freiheitlich ("ein liberales Gesetz")
• die Weltanschauung des Liberalismus betreffend, sie vertretend ("liberale Grundsätze")
• eine den Liberalismus vertretende Partei betreffend, vertretend, zu ihr gehörend ("liberale Abgeordnete")
Und in der Wikipedia findet man* unter "liberal" eine Verweisseite - nämlich hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Liberal

Vielfältige Bedeutungen


Der Begriff "liberal" hat also sehr vielfältige, mitunter stark politische Bedeutungen. Nicht zuletzt durch die deutsche Partei FDP ist der Begriff des Liberalismus auch parteipolitisch präsent.
Klicken wir in der Wikipedia weiter, dann finden wir den Artikel "Liberale Bewegungen im Islam" - namlilch unter https://de.wikipedia.org/wiki/Liberale_Bewegungen_im_Islam.
Wenn das größte Wiki der Welt sich auch bemüht, viele Aspekte fehlen oder sind zu knapp und daher potenziell missverständlich formuliert. Als Anstoß genügt der Artikel in jedem Falle.
Bei der weiteren Beschäftigung mit dem Begriff stößt man* international ebenfalls auf "liberal muslims", die oftmals aber ein anderes Selbstverständnis besitzen, auch weil im Ausland "liberal" nuanciert bis deutlich andere Definition besitzt. Auffällig ist, dass im englischen Sprachraum "liberal muslims" sich weit weniger stark politisch positionieren, sondern "liberal" eher eine Akzeptanz-/Toleranz-Konnotation bekommt.

Politik vs. Spiritualität


Für mich auffällig ist: Der deutsche "liberale Islam" in seiner tatsächlichen Manifestation hat beide Füße fest in der politischen Zielsetzung. Liberale muslimische Organsationen und vor allem deren Vertreter*innen äußern sich primär politisch, wenig bis selten aber religiös/spirituell. Ob Kopftuchstreit, Neutralitätsgesetz (!) oder Islamismus-Diskussion: Der liberale Islam reiht sich ein in das partei- und lobby-politische System. Das mag per se erst einmal nichts Schlimmes sein, holt aber sicherlich die Eine oder den Anderen spirituell überhaupt nicht ab. So auch mich.
Nun könnte man* sagen, der "liberale Islam" habe gar nicht die Aufgabe, spirituell zu wirken (tatsächlich höre ich das immer wieder). Oder er müsse erst einmal den Raum für "liberale Spiritualität" schaffen. Mich als primär spirituell ausgerichteten Muslim berühren diese Argumente nur wenig. Auf dem Weg durch die Imamausbildung ist mir an jedem Tag bewusst, dass ich keine primär politischen Interessen habe, sondern spirituelle.
Ich hatte vor einiger Zeit die Gelegenheit, mich ein wenig mit Amina Wadud zu unterhalten. Sie betonte in dem Gespräch, dass sie sich selbst nicht mehr als "liberal" oder "progressiv" bezeichnet, sondern als "inklusiv". Der Begriff "liberal" sei ihr zu verbrannt, zu missbraucht und zu politisch. Dem kann ich mich nur anschließen.

"Liberaler Islam" als neue Rechtsschule?


Ich werde gern gefragt, ob ich Sunnit oder Schiit sei, welcher islamischen Rechtsschule ich denn anhänge. Gern antworte ich: Ich bin Muslim, alles andere sind menschengemachte Etikettierungen, die eher trennen als dass sie zusammenführen. Oft sind die Fragenden mit dieser Antwort unzufrieden.
Mir begegnete ein interessanter Gedank für einiger Zeit während meiner Studien: Ist es nicht so, dass der liberale Islam quasi eine neue islamische Rechtsschule bildet? Eine Rechtsschule, die sich nicht nur durch andere Auslegungen sondern auch durch ein anderes (nämlich ein diverses, ambiguitätstolerantes) System auszeichnet? - Das ist ein sehr interessanter Gedanke, wenn auch schwer erörterbar, eben wegen der starken politischen Ausrichtung des liberalen Islams in Deutschland. Vielleicht sollte man es eher so ausdrücken: "Die Bewegung der liberal-progressiv-inklusiven Muslim*innen bildet quasi eine neue Rechtsschule" ? Ich glaube, es lohnt sich, diesen Gedanken separat noch einmal aufzugreifen.

Nein zum Schimpfwort-Etikett


Jede*r Muslim*in (Ausnahmen bestätigen die Regel) hat das Interesse, ein gutes und friedliches Leben innerhalb der lokalen und globalen Gemeinschaft der Menschen zu führen. Und selbst bei Meinungsverschiedenheiten über Auslegung, Tradition, Regeln und vielem mehr ist unser aller Hauptanliegen doch eigentlich nicht der überstarke Kampf oder gar Krieg gegeneinander.
Über die Zeit hinweg habe ich festgestellt: Ich habe kein Interesse, meinen Glauben mit einem Schimpfwort und mit der primär politischen Arbeit Anderer zu etikettieren. Nein, ich bin kein liberaler Muslim. In erster Linie bin ich Muslim und begreife daher als solcher meine religiöse und spirituelle Verbindung sowohl mit allen anderen Muslim*innen (so zuwider mir ihre Ansichten auch sein mögen) wie auch mit allen (!) anderen Menschen weltweit.
Vielleicht vertrete ich "inklusive Vorstellungen" innerhalb meiner Religion, vielleicht mitunter auch "konservative", je nach Betrachtungsstandpunkt und -position. Aber das Etikett "liberal" ist nicht (mehr) meines. Insbesondere angesichts vieler Äußerungen, die von verschiedenen "liberale Muslim*innen" in Deutschland gemacht wurden und werden (die zudem üblicherweise ja politisch und nicht spirituell/religiös sind) - nein, mir diesen Äußerungen und Positionen möchte ich nicht gleichgesetzt werden.
Ich bin kein liberaler Muslim.



[Bildnachweis: Ausschnitt aus https://cdn.pixabay.com/photo/2014/11/08/01/20/bald-eagle-521492_960_720.jpg ]

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