Sonntag, 25. November 2018

Mittendrin statt nur dabei

Warum ich nicht (so sehr) Opposition gegen "den traditionellen Islam" beziehe, sondern mich ihm zuwende und mit ihm verbinde.


Als Muslim und Imam mit progressiv-inklusivem Islamverständnis werde ich seit jeher zu Opposition, Empörung, Ablehnung und Kampf gegen "den traditionellen Islam" (vielleicht auch: "den Mainstream-Islam") in Deutschland aufgefordert. Kritisieren soll ich, parolisieren soll ich, verurteilen soll ich. Diese Erwartungen werden an mich herangetragen von verschiedensten Menschengruppen.

Da sind zum Beispiel die "islamfeindlichen Radikalatheisten", die grundsätzlich gegen Religionen, speziell aber gegen den Islam sind, weil sie ihn pauschalisiert als menschenverachtend, kriegerisch, unterdrückerisch und überhaupt abgrundtiefböse empfinden. Da sind die "islamophoben Rechtsnationalen", die wissen, dass sie ihren Rassismus in Form von Antisemitismus nicht so einfach mehr unters Volk (!) bringen können und statt dessen sich erstmal die andere große Religionsminderheit in Deutschland "zur Brust" nehmen. Und da sind die "liberalen, islamkritischen Muslim*innen", die sich eher gegen den Mehrheitsislam als für islamische Vielfalt in einer muslimischen Community einsetzen, die lieber nach bester "Die/Wir"-Manier spalten als Verbindungen schaffen und Überzeugungsarbeit leisten wollen. Um nur drei Gruppierungen zu nennen.

Keine Herz(!)lichkeit für Ferid Heider?


Ein Ereignis in diesem Kontext wird mir lange in Erinnerung bleiben. Es war kurz vor Ramadan dieses Jahres und die Diskussionswellen, wann denn Ramadan begänne und nach welcher Methode man* denn den Ramadanbeginn bestimmen solle, schlugen einmal mehr hoch. Imam Ferid Heider, der sehr umfangreich in verschiedenen Berliner Moscheen wirkt und als wahlweise "konservativer" und wahlweise als "radikaler" Prediger gilt (je nachdem, wen man* fragt), startete an einem der Vorabende der muslimsichen Fastenzeit ein Facebook-Live-Video und teilte den Zuschauenden seine Meinung zu der Ramadanstartzeitdiskussion mit. Er sprach mir aus tiefster Seele. Und da ich ihn zuvor schon zweimal getroffen hatte und unsere Treffen enorm angenehm, freundlich und sehr zugewandt verliefen, gab ich Ferid Heider eine Rückmeldung zu seinen Worten. Ich tat dies durch ein Herzchen-Smiley. Oder zwei.

Es dauerte keine drei Minuten, da wurde ich von einem "islamkritischen Nicht-Muslim" angeschrieben und aufgefordert, "so etwas" nicht zu machen, denn Ferid Heider sei doch ein "Mitglied der Muslim-Bruderschaft" und ein "Islamist" und überhaupt, das ginge doch gar nicht! Ja, ich war durchaus überrascht, wie sehr ich auf Facebook offenbar "überwacht" werde ... Alsdann wurde ich aufgefordert, mich doch künftig bei jeder Gelegenheit unbedingt gegen Ferid Heider zu empören, ich müsse doch kritisch gegenüber "solchen Leuten" sein. - Ich brach den Kontakt zu dem "Islamkritiker" ab.

Meine Bedrohung durch den "traditionellen Islam": Null.


Seit ich offen damit umgehe, gleichzeitig schwul und Muslim zu sein, und auch nachdem ich meinen Status als (erster offen schwul agierender) Imam mitteilte, habe ich keine einzige Gewalt- oder Mordandrohung erhalten. Ab und an bekomme ich die eine oder andere Facebook-Nachricht, ich solle doch "das mit der Homosexualität" sein lassen, eine Frau heiraten und Kinder zeugen, bzw. das Angebot, mich von "der Wahrheit der Lut-Geschichte" überzeugen zu lassen. Insgesamt kam es in den vergangenen zwölf Monaten zu drei Beleidigungen in den sozialen Medien gegen meine Person. Aber das war es auch. Ich werde durch den "traditionellen Islam" nicht bedroht. (Und dafür bin ich ehrlich dankbar.)

Im Gegenteil: Als ich vor einigen Tagen beim Berliner Forum der Religionen im Roten Rathaus die Imame Mohammed Taha Sabri (Dar assalam Moschee / Neuköllner Begegnungsstätte) und Abdel Adhim Kamouss (Stiftung Islam in Deutschland) traf, umarmten wir einander freundschaftlich, ja, geradezu brüderlich. Weil wir das nämlich (egal, ob wir in allen Dingen einer Meinung sind oder nicht) sind: Glaubensbrüder, die durchaus die Aufforderung Gottes begriffen haben, dass wir einander kennenlernen und voneinander lernen mögen, verstanden haben. Und auch, weil das im Umgang einfach nette und freundliche Menschen sind.

Nach der Meinung diverser Leute müsste ich mich absondern von all jenen, die anders denken als zum Beispiel ich oder die Gruppen, die Empörungsforderungen stellen an mich. Ich müsste "jene Leute" also ablehnen und bekämpfen, nur weil sie existieren und weil ich zu einer Gegnerschaft aufgefordert werde, deren Vorgeschichte ich nicht miterlebt habe. Ich soll Menschen meiden, obwohl sie freundlich auf mich zugehen, mit mir zugewandt sprechen und diskutieren. Ich soll opponieren statt zu koexistieren. Ich soll mich exkludieren, statt mich zu inkludieren. Ich soll mich abwenden, statt dabei zu sein.

Wirken aus der Mitte heraus


Ich werde von einigen dafür belächelt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich mehr Veränderung und Fortschritt bewirken kann, wenn ich "mittendrin statt nur dabei" bin im Islam. Mir liegt nichts daran, auf den Tellerrand zu klettern und die Suppe von außen belehren zu wollen (das entspricht auch nicht meiner Grundpersönlichkeit) - ich möchte mitten in der Suppe sitzen, ihre Wärme und ihren Geschmack geniessen, und Teil der Suppe sein, vielleicht die Suppe sogar bereichern.

Das bedeutet nicht, dass sich meine Meinung nicht unterscheiden kann und soll und darf von der anderer Muslim*innen. Aber genau eine Vielfalt der Meinungen und der Auslegungen und der Empfindungen und des Handeln innerhalb des Islams empfinde ich als etwas Hilfreiches. Wenn ich mich aus der Mitte der Gemeinschaft zurückziehe und an den Rand der Ummah stelle, dann nehme ich der Community einen Teil der Vielfalt ... nämlich meine Meinungen, meine Auslegungen, mein Empfinden und mein Handeln.

Viele Leute in Deutschland fordern von den "Newcomern", den nach Deutschland geflüchteten Menschen (die also nicht seit Geburt an hier leben), eine (möglichst sofortige!) Integration (und einige Leute erwarten sogar eine Assimilation) ... warum soll ich, der ich nicht durch Geburt Muslim bin, sondern im Vergleich zu "geborene Muslim*innen" auch ein Newcomer bin, warum soll ich mich nicht integrieren?

Ich bin der Meinung, dass ich durch mein "Mittendrin" mehr gewinne als ich verliere. Denn ich erhalte freundliche Begegungen mit anderen Muslim*innen, Inspirationen und sicherlich auch kritische Rückmeldungen. Und ich habe die Chance, Freund*innen zu finden. Wenn das nichts Wert ist ... ?



[Bildnachweis: (c) Christian Awhan Hermann / Selfie ]

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